Voigtländer Brillant S – eine echte TLR

Einleitung

Unter der Bezeichnung «Brillant» baute die Firma Voigtländer in Braunschweig von 1932 bis 1948 verschiedene Kameratypen. Bei allen Vorgängermodellen der in diesem Beitrag beschriebenen Brillant S handelte es sich um Pseudo TLR Kameras. Bei diesen wurde über den Schachtsucher lediglich der Bildausschnitt bestimmt. Die korrekte Distanz zum aufzunehmenden Objekt musste geschätzt werden. Dies änderte sich bei der Brillant S. Sie war als echte Twin Lens Reflex Kamera (TLR) konzipiert. Somit konnte über den Sucher nicht nur der Bildausschnitt bestimmt, sondern auch die Schärfe kontrolliert werden.

Das Gehäuse

Das Gehäuse der Brillant S, die 1938 auf den Markt kam und bis 1948 produziert wurde, war aus Bakelit gefertigt. Das Modell verfügt, wie übrigens alle Brillant-Kameras aus Bakelit, über keine Seriennummer. An der Vorderseite sind die beiden Objektive mit den markanten Zahnkränzen übereinander montiert. An der rechten Kameraseite sind die grundlegenden Elemente für den Filmtransport angebracht. Als Ergänzung dazu verfügt die Rückwand über ein kleines, mit rotem Glas geschütztes Fenster, das mit Hilfe einer Drehscheibe verschlossen werden kann. Darin ist es möglich, die aktuelle Bildnummer abzulesen. In der linken Seitenwand ist das Zubehörfach integriert. Für die Stativmontage ist ein Schraubgewinde mit einem Durchmesser von 3/8 Zoll in den Kameraboden eingelassen. Um die Kamera auf heutigen Stativen zu befestigen, ist also ein Übergewinde (erhältlich zum Beispiel bei ars-imago) nötig, welches das verbaute Gewinde auf 1/4 Zoll reduziert.

Voigtländer Brillant S

Der Sucher

Die Brillant S verfügt über das für alle Brillant-Kameras typische helle Sucherbild. Im Gegensatz zu den früheren Modellen ist in der Mitte der Feldlinse ein eingeschliffenes, kreisrundes Mattscheibenelement mit einem Durchmesser von 10 mm zu erkennen. Mithilfe der im Schacht integrierten Lupe, die über einen kleinen Hebel an der Rückseite des Sucherschachts ausgeklappt wird, lässt sich die korrekte Fokussierung kontrollieren. Sehr häufig wird berichtet, dass das Scharfstellen des Bildes recht schwierig sei. Selber kam ich damit erstaunlicherweise gut zurecht. Die oben liegenden Schachtsucher von zweiäugigen Spiegelreflexkameras (TLR) führen dazu, dass meist aus Bauchhöhe fotografiert wird. Für Situationen, in denen auf Augenhöhe fotografiert werden soll, ist in die Vorder- und Hinterwand des aufgeklappten Schachtes ein sogenannter Sportsucher integriert. Dieser wird durch eine kleine, kreisrunde Öffnung an der hinteren Klappe und ein quadratisches Fenster, das in den Kameradeckel eingelassen ist, gebildet.

Voigtländer Brillant S - Sportsucher
Voigtländer Brillant S Sucher

Das optische System und Verschluss

Eine Brillant S ist leicht an den beiden durch Zahnringe gekoppelten Objektive zu erkennen. So lässt sich über den Schachtsucher kontrolliert die Bildschärfe einstellen. Zum Einsatz kamen im Verlaufe der Zeit unterschiedliche Kombinationen von Objektiven und Verschlüssen. Bei allen Modellvarianten kam ein einlinsiges Rapid-S-O mit einer Blende von 1:2.2 und einer auf der Oberseite angebrachten Schärfetiefe-Skala als Sucherobjektiv zum Einsatz. Als Aufnahmelinse verfügt meine Kamera über ein Skopar 1:3.5 mit einem Compur Verschluss. Gemäss «Voigtländer Report 2» von Claus Prochnow (Seite 451) gab es die Voigtländer Brillant S in folgenden Kombinationen:

  • Voigtar 4.5 mit Compur
  • Voigtar 3.5 mit Compur
  • Skopar 3.5 mit Compur-Rapid
  • Heliar 3.5 mit Compur-Rapid
  • Skopar 3.5 mit Compur
  • Skopar 3.5 mit Compur-Rapid

Der bei meiner Kamera verbaute Compur-Verschluss ermöglicht Belichtungszeiten von 1 Sekunde bis 1/300 Sekunde. Zusätzlich stehen die Optionen B und T zur Verfügung. Der einstellbare Blendenbereich reicht stufenlos von der maximalen Blendenöffnung 3.5 bis zur Blende 16. So verfügt die Brillant S über Aufnahmeeinstellungen, die praxistauglich sind und dazu führen, dass ich gerne mit dieser Kamera unterwegs bin. Unter extremen Lichtsituationen kann die sie auf ein Stativ montiert werden und mit einem Drahtauslöser ausgelöst werden. Dazu befindet sich auf der Unterseite des Aufnahmeobjektivs ein Gewindeanschluss.

Nutzung von Rollfilm

Voigtländer Brillant S - ZählwerkAn beiden oberen Ecken der Kamerarückwand ist je ein massiver Metallhebel angebracht. Drückt man diese zusammen, kann die Kamera zum Einlegen des Films geöffnet werden. Boden und Rückwand geben das Kamerainnere frei und ermöglichen einen guten Zugang. Fotografiert wird bei der Brillant S mit 120er Rollfilm. Vor dem Einlegen des neuen Films wird zuerst die Leerspule im oberen Bereich eingelegt. Die in der Brillant S dafür konstruierte Mechanik erweist sich als äusserst praktisch. Zuerst wird das grosse Transportrad an der rechten Kameraseite herausgezogen und durch eine kurze Drehung fixiert. Danach lässt sich das gesamte Fach, das aus Metall gefertigt ist, herausklappen. So kann die Spule leicht eingelegt werden. Zuletzt wird die Halterung wieder eingeklappt und durch Drehen des Transportrades erneut sicher verankert. Im Bereich des Kamerabodens wird der neue Film eingelegt. Auch dies geht extrem leicht von der Hand, da die Rolle durch eine Blechfeder im Gehäuse gehalten wird. Der Film wird bei geschlossener Rückwand an ein kleines Rad mit feinen Zacken gedrückt, das mit dem automatischen Filmzählwerk verbunden ist. Die Position für die erste Aufnahme wird über das Rotfenster in der Rückwand und durch Drehen des Transportknopfs (1) gesucht. Dabei wird der Entsperrungshebel (2) nach oben gedrückt gehalten. Danach wird der Zähler (4) mit einem Schiebehebel (3) auf 1 gesetzt und das Rotfenster wieder verschlossen. Um nach getätigter Aufnahme den Film weiterzutransportieren, wird der Hebel (1) erneut einmal nach oben gezogen. Der Film kann nun mit dem Transportknopf bis zum Anschlag weiter gespult werden, sodass die nächste Aufnahme gemacht werden kann. Es kann sein, dass das automatische Zählwerk nicht zuverlässig funktioniert. Die Ursache dafür: aktuelles Filmmaterial ist etwas dünner als früher. In diesem Fall kann versucht werden, den Film mithilfe des Rotfensters in regelmässigen Abständen zu transportieren.

Das Zubehörfach

In die linke Seitenwand der Brillant S ist eine Klappe integriert, hinter der sich ein längliches Zubehörfach verbirgt, das über die gesamte Gehäusehöhe reicht. Es beinhaltet bei meiner Kamera zwei Teile. Da wäre einmal ein Gelbfilter, der auf das Aufnahmeobjektiv passt. Damit liesse sich der blaue Himmel abdunkeln. Auch die Wolken bekämen einen stärkeren Kontrast. Selber habe ich diesen Gelbfilter noch nicht im praktischen Einsatz gehabt. Zusätzlich beherbergt das Zubehörfach einen Voigtländer Belichtungsmesser. Dieser wird auf die Suchoptik aufgesteckt. Mittels leuchtenden Punkten, die über den Sucher dann erkennbar sind, und einer an der Rückwand des Zubehörfaches angebrachten Belichtungstabelle lässt sich die korrekte Belichtungszeit bestimmen. Für die genaue Beschreibung des damit verbundenen Vorgehens ist ein eigener Kurzbeitrag nötig.

Update 26. April 2022

Heute habe ich auf meinem YouTube-Kanal ein Video zur Voigtländer Brillant S veröffentlicht:
Beitrag mit dem Video hier im Blog
Das Video auf YouTube

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