Kodak Retina Ia – die solide Sucherkamera aus Stuttgart

Bei der Retina Ia handelt es sich um eine handliche Faltkamera mit einfachem Sucher. Dieser ist für heutige Verhältnisse extrem klein, misst gerade mal knapp 5 x 3 mm. Den optimalen Bildausschnitt zu bestimmen ist damit gar nicht so einfach, aber nicht unmöglich. Ein kleiner Balgen verbindet lichtdicht die Objektiv-Platte und das Kameragehäuse. Somit kann die Kamera bei Nichtgebrauch auf ein äusserst kompaktes Mass reduziert werden. Produziert wird die Retina Ia ab 1951 von den Nagel-Kamerawerken in Stuttgart, die zu dieser Zeit bereits zum Kodak-Konzern gehören. Bis 1954 werden etwas über 137’000 Exemplare hergestellt. Die Retina Ia ist das erste Modell der Retina-Reihe, bei dem die Modellbezeichnung oben ins Kameragehäuse eingraviert ist. Sie ist deshalb leicht zu erkennen.
Kodak Retina Ia (Type 015)

Die Kamera im Überblick

Oberseite der Retina 1a mit Legende
Kodak Retina Ia in der Hand
In zusammengeklapptem Zustand wirkt die Kodak Retina Ia sehr handlich. Sie passt gut in die Hand oder in eine Jackentasche. Durch die solide Verarbeitung mit hochwertigen Materialien bringt die Kamera 500 Gramm auf die Wage, was ich beim Gebrauch keineswegs als störend empfinde. Auf der Frontseite ragt die Objektabdeckung 11 mm aus dem Kamerabody. Mit einem Knopf auf der linken Seite des Kamerabodens lässt sich diese Abdeckung entriegeln und gibt das Objektiv frei. Dieses wird beim vollständigen Öffnen der Objektabdeckung ausgefahren. Ein ausklappbarer Standfuss, wie er noch bei früheren Retina-Modellen an der Frontklappe zu finden ist, fehlt. Soll diese Schutzabdeckung wieder geschlossen werden, muss der Fokusring auf unendlich gestellt werden. Danach werden die beiden Verrieglungstasten auf der Ober- und Unterseite der Objektivplatte gleichzeitig leicht gedrückt und dabei das Objektiv wieder ins Kameragehäuse gestossen. Betrachten wir zuerst mal die Oberseite der Kamera. Das Vorläufermodell Retina I hatte für den Filmtransport noch einen grossen Drehknopf. Bei der Retina Ia sticht neu ganz rechts aussen der Schnellspannhebel (1) ins Auge. Bei Betätigung wird der Film weiter transportiert und der Verschluss gleichzeitig gespannt. Im Hebel integriert ist das Filmzählwerk (2), das durch Drehen des äusseren Zahnkranzes zurückgestellt werden kann. Für viele wohl nicht ganz intuitiv: Gezählt wird von Aufnahme 36 rückwärts. Sobald die letzte Bildnummer gemäss Anzeige erreicht ist, wird der Filmtransport blockiert. Der Auslöser (3) liegt direkt neben dem Schnellspannhebel und ist so leicht mit dem Zeigefinger zu erreichen. Über das Innengewinde lässt sich ein Kabelauslöser anschliessen. Zwischen Auslöser und Schnellspannhebel ragt ein mysteriöser Knopf (4) aus dem Kameragehäuse. Seine Funktion blieb auch mir lange ein Rätsel. Nach weiteren Recherchen ist nun alles klar. Mit diesem Knopf kann der Film mehrmals nacheinander vorgespult werden, ohne zwischendurch den Auslöser zu betätigen. Dies ist dann von Nutzen, wenn eine teilweise belichtete Filmpatrone nachgeladen wird. Im Katalog von Photo Porst aus dem Jahre 1952 wird dies auf Seite 156 beschreiben (Quelle: www.collection-appareils.fr). Der Kanal des Suchers (5) liegt in der Mitte auf der Kameraoberseite und ragt etwa einen Millimeter aus dieser heraus. Links daneben ist mit drei Schrauben der Zubehörschuh (6) montiert, hinter welchem die Seriennummer (7) der Kamera eingraviert ist. Der Rückspulknopf (8) liegt oben ganz links auf dem Kameragehäuse. Bereits kurz nach der Produkteinführung wird er flacher gestaltet. Im Knopf integriert ist eine Filmmerkscheibe (9), auf der lauter heute nicht mehr erhältliche Kodakfilme aufgeführt sind. Von oben betrachtet erkennt man die achteckige Form des Kameragehäuses. An den beiden Schrägseiten, welche nach vorn zeigen, sind die stabilen Ösen (10) für einen Kameragurt angebracht.

Der Kameraboden sieht sehr aufgeräumt aus. Zwischen den zwei runden Standfüssen (11), welche die Unterseite schützen, sind zwei Knöpfe zu erkennen. Mit dem rechten Knopf (12) wird, wie weiter oben beschrieben, die Kamera geöffnet. Beim linken Knopf handelt es sich um den Umschaltknopf (13) für die Rückspulung des eingelegten Films. Darauf zu erkennen ist eine exzentrisch angebrachte Markierung (14), mit welcher der Filmtransport kontrolliert werden kann. Für die Nutzung der Retina Ia mit einem Stativ ist im linken Standfuss ein Stativgewinde (15) eingelassen.

Kodak Retina 1a Kameraboden mit Legende

Das Objektiv

Das Objektiv und der Verschluss sind vor dem Balgen auf einer Grundplatte montiert. Im ersten Jahr wird die Retina Ia mit einem Kodak Ektar ausgeliefert. Danach kommt das Retina-Xenar von Schneider-Kreuznach mit Blende 3.5 oder 2.8 zum Einsatz. Meine Retina Ia ist mit einem Retina-Xenar 1:2.8 von Schneider-Kreuznach ausgerüstet, das eine Brennweite von 50 mm hat. Von der maximalen Blendenöffnung von 2.8 kann in ganzen Blendenschritten bis Blende 16 abgeblendet werden. Die Seriennummer des Objektivs meiner Kamera deutet darauf hin, dass es aus der Produktionsperiode von Mai 1952 bis Oktober 1954 stammt – wohl eher aus der ersten Hälfte der Produktionszeit (Seriennummern Objektive Schneider-Kreuznach, archiviert). Die kürzeste Aufnahmedistanz habe ich nicht systematisch ermittelt. Nach Angaben auf der Entfernungsskala (16) beträgt sie etwas unter einem Meter. Der Distanzring läuft sehr geschmeidig und ist dank des Entfernungseinstellknopfs (17) gut zu bedienen. So ist das korrekte Fokussieren eigentlich kein Problem. Einfache Sucherkameras bereiten immer dann Probleme, wenn es schnell gehen muss. Um die Schwächen bei «schnellen» Objekten/Motiven etwas auszugleichen, kann mit der Zonenfokussierung gearbeitet werden. Es wird etwas fotografisches Grundwissen benötigt, um das zu verstehen. In der originalen Anleitung für die Retina Ia wird das Prinzip der Zonenfokussierung ganz gut beschrieben. Die Entfernungsskala ist bereits dafür vorbereitet. Zwischen den Distanzen 6 m und 10 m ist ein kleiner Kreis zu erkennen, auf den der Distanzring gedreht wird. Wenn jetzt die Verschlusszeit so gewählt wird, dass mit Blende 8 fotografiert werden kann, werden alle Objekte zwischen 3.5 m und unendlich scharf abgebildet. Für den Nahbereich ist auf der Entfernungsskala ein weiterer kleiner Kreis zwischen 2.5 m und 3 m zu sehen. Wird nun die Distanz auf diesen eingestellt und ebenfalls mit Blende 8 fotografiert, so werden alle Motive zwischen etwa 1.8 m bis gut 4 m scharf auf dem Film abgebildet.

Der Verschluss

Die ersten Retina Ia verfügen über einen Compur Rapid Verschluss. Ab Juli 1951, also bereits im ersten Produktionsjahr, wird zum Synchro-Compur gewechselt. Bei beiden Versionen handelt es sich um Zentralverschlüsse, welche Verschlusszeiten von 1 bis 1/500 Sekunde erreichen. Die Einstellung B (Bulb-Modus) steht zusätzlich für Langzeitaufnahmen zur Verfügung. Für verwacklungsfreie Aufnahmen ist dann jedoch, wie auch bei Belichtungszeiten unter 1/25 Sekunde, der Einsatz eines Stativs nötig. Wer eine Retina Ia kaufen möchte, stellt manchmal fest, dass das Einstellen der Verschlusszeit auf 1/500 Sekunde blockiert zu sein scheint. Ist der Verschluss bereits gespannt, ist ein ordentlicher Kraftaufwand nötig, der dem Verschluss jedoch nicht schadet. Einfacher ist es hingegen, die Belichtungszeit vor dem Spannen des Verschlusses einzustellen.
Bei allen Retina 1a Modellen befindet sich seitlich am Verschluss ein Anschluss für ein Blitzkabel. Bei den neueren Synchro-Compur Verschlüssen kann über einen Schalter zwischen dem X-Modus für Elektronenblitze und dem M-Modus für Blitzbirnen gewählt werden. Geblitzt werden kann mit allen Verschlusszeiten von  1 Sekunde bis 1/500 Sekunde. Von dem beim Produktionsstart der Retina Ia im Jahre 1951 verbauten Compur-Rapid Verschluss wird hingegen nur eine Blitzsynchronisation für Blitzbirnen im M-Modus unterstützt. Details können im Retina Guide von Chris Eve (archiviert) im Kapitel «Flash» nachgelesen werden.

Film einlegen und los geht’s

Zum Einsatz kommen 135er-Filme mit dem Bildformat 24 x 36 mm. Das Einlegen der Patrone ist sehr einfach. Die Kamerarückwand wird durch das Herunterklappen des Riegels an der linken Kameraseite geöffnet und kann danach vollständig aufgeklappt werden. So gibt sie den gesamten Innenraum der Kamera frei. Auf der linken Seite der geöffneten Klappe ist eine Filmgleitrolle an der Hintertür montiert. Sie verbessert zusammen mit dem etwas tiefer gelegten Filmkanal die Führung des Filmstreifens. Bevor ein Film eingelegt wird, muss der Rückspulknopf auf der Kameraoberseite ganz hochgezogen werden. Anschliessend wird die Filmpatrone eingelegt und mit dem Rückspulknopf fixiert. Die Filmlasche wird nach rechts gezogen und in der Aufnahmespule sicher verankert. Nun kann der Kameradeckel wieder geschlossen und verriegelt werden. Das Zählwerk, das im Schnellspannhebel integriert ist, wird im Uhrzeigersinn auf das Rautensymbol gedreht und danach der Film zweimal transportiert. Es lohnt sich, dabei zu kontrollieren, ob sich der Rückspulknopf dreht. Sollte dies nicht der Fall sein, ist der Film nicht korrekt in der Aufnahmespule fixiert worden. Der Zeiger steht jetzt auf 36 und die Kamera ist für die erste Aufnahme bereit. Wenn der Aufnahmezeiger auf der Ziffer 1 steht, wird der Spannhebel der Retina Ia automatisch blockiert. Der Film ist voll und kann zurück in die Patrone gespult werden. Dafür muss der Umschaltknopf für die Rückspulung auf dem Kameraboden gedrückt werden. Er kann dazu leicht aus der Kamera gezogen werden, damit er besser in der Hand liegt.
Kodak Retina Ia geoeffnet

Fazit

Die Retina Ia macht einen wertigen Eindruck. Alle mechanischen Bedienelemente fühlen sich extrem solide an. Ich schätze zudem die Kompaktheit des Gehäuses in geschlossenem Zustand. Die Kamera passt gut in die Hand oder in eine Jackentasche. Trotz des winzigen Sucherfensters auf der Kamerarückseite gefällt es mir, mit dieser Kamera Fotos zu machen. Wer nicht mit extremen Belichtungskombinationen mit wenig Schärfentiefe experimentieren mag, kommt bei durchschnittlichen Lichtverhältnissen und mit dem dafür geeigneten Film mit der im Beitrag beschriebenen Zonenfokussierung gut über die Runden. Alles braucht einfach etwas Zeit, aber die nötige Erfahrung lässt sich schnell erreichen. Das Urteil von Ken Rockwell in seinem Beitrag über die Retina Ia kann ich absolut nicht bestätigen. Er schreibt: «This particular Retina 1a camera is a great example of how extremely high quality has little to do with making great pictures. This camera, a jewel of precision, is almost useless for practical photography.» Mit der Retina Ia lassen sich durchaus gute Fotos machen. Vielen wird vermutlich der «magische» Entsperrungsknopf hinter dem Auslöser Rätsel aufgeben, wenn sie die Kamera das erste Mal in der Hand halten. Oder sie vermuten technische Probleme, wenn der Schnellspannhebel auf dem Zählerstand «1» blockiert. Wer meinen Beitrag gelesen hat, wird aber auch diese Hürden meistern und an der Retina Ia seine Freude haben!

Links

Kodak Retina Ia: Pflanzen in der Stadt

Pflanzen in der Stadt | Kodak Retina Ia | © Hanspeter Füllemann

Diesen Beitrag teilen…