HOLGA 120N – die Plastikknipse aus China

Wie alles beginnt

Auf die HOLGA, die kultige Plastikknipse, stosse ich immer wieder im Web. Unzählige Beiträge und Videos sind zu finden. In letzter Zeit hat mir YouToube einige Videos zur Holga vorgeschlagen. Und wie es so ist: schaut man eins, werden es immer mehr Videos, die an die Oberfläche gespült werden. Auch im Internet recherchiere ich in der Folge verstärkt zur aktuellen Holga 120N. Da gibt es viel zu den Möglichkeiten und Unzulänglichkeiten zu lesen. Meine Recherche zeigen Wirkung. Das Verlangen, mit der Kamera etwas zu experimentieren, wird immer grösser.
Meine eigene HOLGA 120N kaufe ich schlussendlich im Sommer 2022 nach einem Photowalk in Zürich bei der Firma ars-imago. Am liebsten hätte ich mir ein schwarzes Modell angeschafft. Da diese jedoch aktuell nicht verfügbar sind, kaufe ich eine weisse Version.

Etwas Kamerageschichte

Kurz etwas zur Geschichte… Die HOLGA wird von Lee Ting-mo entwickelt und ab 1982 in Hongkong als Billigstkamera produziert. Sie soll möglichst vielen Menschen in China das Fotografieren ermöglichen. Später werden weltweit weitere Märkte erschlossen. Im Laufe der Zeit werden mehrere Modellvarianten angeboten. Diese verfügen zum Beispiel über eine Glaslinse oder einen eingebauten Blitz. Die Produktion wird 2015 gestoppt, bis die HOLGA im Jahr 2017 ein Comeback erlebt. Die chinesische Firma Sunrise kauft die Markenrechte und beginnt wieder mit der Produktion der HOLGA 120N. Die Plastikkamera ist zu diesem Zeitpunkt nicht mir die «Volkskamera». Sie wird durch ihre vielen Unzulänglichkeiten und ihren unverwechselbaren typischen Bildstil vielmehr zur Kultkamera.

HOLGA 120SF mit Film

Holga 120SF mit eingebautem Blitz
Bilby, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Das bietet die HOLGA 120N

Wer immer den aktuellsten Kameras mit immer besseren technischen Eigenschaften nachhechelt, muss unweigerlich von einer Plastikkamera, wie der Holga, masslos enttäuscht sein. Die bietet ja absolut nichts Spektakuläres. Alles, bis auf die Bestandteile des Verschlusses und die beiden Klammern, welche die Rückwand fixieren, ist aus Plastik gefertigt – In den Standardmodellen sogar die Linse. Mit dieser Billigbauweise sind LightLeaks, welche jedem Exemplar einen einzigartigen Charakter verleihen, meist nicht zu vermeiden. Die technischen Spezifikationen sind schnell aufgezählt.

Aufgenommen werden die Fotos auf 120er Rollfilm. Die Rückwand lässt sich durch Lösen der beiden Blechschiebern auf jeder Kameraseite leicht öffnen und als ganzes abheben. Das Einlegen des Rollfilms geschieht in gewohnter Manier. Der Kamera liegen zwei Masken bei. Diese erlauben zwei unterschiedliche Negativformate. Bei Verwendung des quadratischen Einsatzes sind zwölf Bilder in der Grösse 6 x 6 cm möglich. Wird die rechteckige Maske eingesetzt, erhöht sich die Anzahl der möglichen Aufnahmen auf sechzehn Negative im Format 6 x 4.5 cm. Diese werden im Hochformat auf den Film gebannt. Wichtig ist, dass der in die Rückwand der Kamera integrierte Schieber an die entsprechende Position geschoben wird. So werden die korrekten Bildnummern auf dem Schutzpapier des Films angezeigt. Mit dem Drehknopf rechts oben auf der Kamera wird der Film transportiert. Dabei wird der Verschluss nicht gespannt, da der mit einem völlig unabhängigen Federmechanismus funktioniert. Da zudem eine Verschlusssperre fehlt, ist es möglich, dass auf jeder Filmposition mehrfach ausgelöst werden kann. Das kann ärgerlich sein, bietet jedoch auch die Möglichkeit kreativer Mehrfachbelichtungen.

HOLGA 120N mit geöffneter Rückseite und mit Einsätzen

Das Objektiv hat eine Brennweite von etwa 60 mm, was auf Kleinbild übertragen etwa 47 mm entspricht. Für das Scharfstellen muss die Distanz geschätzt werden und dann am Objektivring mithilfe der aufgedruckten Symbole eingestellt werden. (•••Hier Bild der Symbole mit Distanzangaben aus der Anleitung). Der Distanzbereich dürfte etwa von 1 m bis unendlich reichen. Mitgeliefert wird ein Objektivdeckel, der standesgemäss ebenfalls aus Plastik ist. Er kann Fluch oder Segen sein. Einerseits schützt er die Kunststofflinse vor Kratzern und unerwünschtem Lichteinfall bei Nichtgebrauch. Neulinge, die keine Erfahrungen mit Sucher- und Messsucherkameras gesammelt haben, werden ziemlich sicher ab und zu vergessen, vor der Aufnahme den Deckel vom Objektiv zu nehmen. Merkt man den Fehler vor dem Transport des Films, kann einfach nochmals abgedrückt werden. Andernfalls werden nach der Filmentwicklung unbelichtete Negative zu sehen sein.
Der Bildausschnitt kann, mindestens ungefähr, mit dem hellen Sucher bestimmt werden. Der zeigt wohl eher einen zu kleinen Bereich. Auf Bildern, bei denen ich den Ausschnitt recht knapp gewählt habe, ist nach Entwickeln des Films deutlich mehr Bildinhalt zu sehen.

HOLGA Objektiv (Detailaufnahame)

An der Verschlusszeit kann gar nichts geändert werden. Sie wird vom Hersteller nicht einmal genau benannt. Sie soll ungefähr 1/100 Sekunde betragen. Zudem kann mit Hilfe eines Plastikschiebers an der Unterseite der Objektivhalterung auf Bulb-Modus umgeschaltet werden, womit bei der HOLGA Langzeitbelichtungen möglich sind. Hilfreich ist bei langen Belichtungszeiten der im Kameraboden integrierte Stativgewinde.

Durch das Fehlen variabler Verschlusszeiten müsste die Belichtung über die Blendeneinstellungen geregelt werden können. Doch auch in dieser Beziehung sind die Möglichkeiten der HOLGA 120N extrem eingeschränkt. Auf der Oberseite des Objektivanschlusses ist ein Schieber mit den Symbolen für sonniges oder bewölktes Wetter angebracht. Dieser schaltet die Blendenöffnung von Blende 11 auf Blende 8 und zurück. Ein recht kleiner Unterschied. Doch dies muss alles zuerst in der Praxis getestet werden. Den mitgelieferten Traggurt montiere ich nicht, da er nicht sonderlich gut passt und recht unpraktisch ist. Der auf der Kameraoberseite integrierte Blitzschuh wirkt als Luxus. Er verfügt über einen Mittelkontakt. •••Blitzen mit der HOLGA im Detail•••
Blendeneinstellungen der HOLGA 120N

Erste Erkenntnisse

Beim allerersten Einsatz legte ich bei sonnigem Wetter spontan einen ILFORD FP4 Plus in die Kamera. Zugegeben, ich hatte gemischte Gefühle, da ich absolut keine Ahnung hatte, wie sich die ungefähren Verschlusszeiten und Blendengrössen je nach Lichtverhältnissen auswirken. Die ersten Fotos machte ich bei vollem Sonnenschein.Im Verlaufe des Nachmittags ziehen immer mehr Wolken auf. Nach dem Entwickeln des Films zeigt sich, dass der höherempfindliche HP5 Plus wohl für die vorhandenen Lichtverhältnisse besser gewesen wäre. Bei weiteren Recherchen zum Filmmaterial stosse ich auf Empfehlungen, die für Sonnenschein Filmempfindlichkeiten bis ISO 400 empfehlen, für schlechtere Lichtverhältnisse bis ISO 800. Beim nächsten Versuch werde ich einen ILFORD HP5 Plus mit einer Empfindlichkeit von ISO 400 laden.
ILFORD-Filme FP4 Plus und HP5 Plus
Beim Füllen des ersten Films tue ich mich mit den Distanzeinstellungen etwas schwer. Bei Nahaufnahmen und bei Sujets, bei denen die Schärfe auf unendlich eingestellt werden, funktioniert das Fokussieren gut. Für alle Distanzen zwischen diesen Extremen braucht es noch etwas mehr Erfahrung im Umgang mit der sehr vereinfachten Skala auf dem Einstellring des Objektivs. In der Broschüre, die der Kamera beiliegt, gibt’s ja noch Distanzangaben zu den einzelnen Symbolen. Beim zweiten Film wird alles sicher besser klappen.
HOLGA 120N – Distanzen und Symbole
Das Abdichten von Lightleaks ist immer Thema von Beiträgen zur HOLGA. Beim Belichten meines ersten Films dichte ich nichts auf Vorrat ab. Ich möchte erleben, wie sich die Kamera frisch aus der Box verhält! Auf den ersten Bildern treten prompt eigenartige Lightleaks auf der rechten Seite einiger Bilder auf. Sie nehmen fast die halbe Breite ein des Negativs ein. Wie ich diese wohl eliminieren kann? Eins ist sicher: Ich werde noch einige Filme verschiessen müssen, bis ich die Holga 120N «im Griff» habe. Ich möchte die gröbsten Lichtfehler vermeiden und mehr Erfahrungen sammeln. Über meinen weiteren Weg mit der Plastikknipse werde ich euch auf dem Laufenden halten!
Aufnahme mit massiven LightLeaks

Aufnahme mit massiven LightLeaks

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