Vest Pocket Autographic Kodak – die Soldatenkamera

Zur Geschichte der Vest Pocket Kodak Kameras

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich ein Trend hin zu kleinen und äusserst kompakten Kameras. Mehrere Hersteller begannen in diese Richtung zu arbeiten. Im Jahr 1912 präsentierte die Firma Eastman Kodak ihr legendäres Modell der Vest Pocket Kodak, auch unter dem Kürzel VPK bekannt. Es wurden verschiedene Versionen dieser kleinen und handlichen Kamera hergestellt. Die ursprüngliche Vest Pocket Kodak wurde bis 1915 produziert. Ab 1915 war die Variante Vest Pocket Autographic Kodak auf dem Markt, die bis 1926 hergestellt wurde. Weitere Vest Pocket Modelle folgten. Hier eine grobe Übersicht zur Orientierung (Quelle: History of KODAK Cameras / Eastman Kodak Company, 1999):

  • Vest Pocket KODAK, 1912-1914
  • Vest Pocket Autographic Kodak, 1915-1926
  • Vest Pocket KODAK Special, 1912-1935
  • Vest Pocket AUTOGRAPHIC KODAK Special, 1915-1926
  • Vest Pocket Kodak Modell B (AUTOGRAPHIC), 1925-1934
  • Vest Pocket KODAK Serie III (AUTOGRAPHIC), 1926-1934

Die hier im Beitrag behandelte Vest Pocket Autographic Kodak unterscheidet sich von der drei Jahre zuvor entwickelten originalen «Vest Pocket Kodak» durch eine schmale Klappe auf der Rückseite. Diese Klappe ermöglichte es, Notizen auf den eingelegten Film zu schreiben. Mehr dazu folgt im weiteren Verlauf des Beitrags.

Portrait der Vest Pocket Autographic Kodak Kamera

Die Soldatenkamera

Während des Ersten Weltkriegs wurden die Vest Pocket Kameras von Kodak als Soldatenkameras beworben, obwohl das Fotografieren an der Front bald strengstens verboten war. Aufgrund ihrer geringen Grösse schienen sie jedoch äusserst beliebt gewesen zu sein. Das National Science and Media Museum in Bradford berichtet in einem Beitrag mit dem Titel «The Vest Pocket Kodak was the Soldier’s Camera» darüber, dass in Grossbritannien im Jahr 1914 etwa 5’500 Vest Pocket Kodak Kameras verkauft wurden, während sich diese Zahl im darauf folgenden Jahr auf 28’000 erhöhte. Für diejenigen, die sich näher mit dem Thema Soldatenkameras befassen möchten, bietet der Film «Hidden Histories: WW1’s Forgotten Photographs» vielfältige Eindrücke und Informationen.

Film «Hidden Histories: WW1’s Forgotten Photographs»

Gehäuse und Bedienelemente

Die Vest Pocket Kodak erwies sich als sehr robust und zuverlässig. Zusammengeklappt passte sie mit ihrer Grösse von 67 x 121 x 30 locker in eine Westentasche. Für die erste Version der VPK wird ein Gewicht von lediglich 316 Gramm angegeben. Die in diesem Beitrag beschriebene Vest Pocket Autographic Kodak bringt 322 Gramm auf die Waage, ist aber immer noch ein Leichtgewicht, das man gerne mitträgt.
In geschlossenem Zustand gibt es keine Elemente, die merklich vom Gehäuse abstehen. Das obere und das untere Ende sind angenehm gerundet. Für eine Kamera, die leicht in der Westentasche verschwinden soll, der perfekte Formfaktor. Sogar der Schlüssel für den Filmtransport, der seitlich an der Kamera angebracht ist, lässt sich zur Seite klappen.

Gehäusedetails der Vest Pocket Autographic Kodak

Hinter dem unteren Ende der Frontplatte verbirgt sich eine ausklappbare Stütze. Darauf ist die Seriennummer eingeprägt. Die Nummer 1’765’419 des vorliegenden Exemplars lässt gemäss der Seite Vest Pocket Kodak serial numbers auf Camera-wiki.org den Schluss zu, dass diese Kamera erst im Jahre 1925 hergestellt wurde.

Stütze hinter der Frontplatte der Vest Pocket Autographic Kodak Kamera

Der oben an der Frontplatte montierte Brillant-Sucher hilft bei der Wahl des gewünschten Ausschnitts. Er lässt sich um 90 Grad zur Seite drehen. So leistet er seinen Dienst sowohl für Aufnahmen im Hoch- als auch im Querformat. Die Grösse von lediglich 13 x 13 mm erschwert die Nutzung. Egal, ob nun die Aufnahme horizontal oder vertikal ausgerichtet sein soll: das entsprechende Auswahlrechteck schrumpft dann die Kontrollfläche auf 10 x 7 mm.

Brillant-Sucher der Vest Pocket Autographic Kodak – Detailaufnahme

Auf der Kamerarückseite gibt es eine runde Öffnung, welche mit einem drehbaren Deckel verschlossen ist. In diese Verschlusskappe eingelassen ist das Rotfenster, durch das beim Filmtransport die Aufnahmenummern zu erkennen sind.
Versenkt in den beiden Seitenflächen der Vest Pocket Kodak liegen die Griffe, mit deren Hilfe die Frontplatte mit dem daran befestigten Balg bequem herausgezogen werden kann. Dabei muss unbedingt kontrolliert werden, dass die Spreizen auf beiden Seiten vollständig herausgezogen werden, da sonst unscharfe Aufnahmen unvermeidbar sind.

Deckel auf der Rückseite der Vest Pocket Kodak

Objektiv und Blende

Zur Standardausrüstung der Vest Pocket Autographic Kodak gehört eine einfache Meniskuslinse mit einer Brennweite von 75 mm. Sie liegt hinter den Blendenlamellen und dem Verschluss. Der Fixfokus der Linse kann Objekte von etwa 1.8 m bis unendlich scharf abbilden. Wie weiter oben bereits vermerkt, muss die Frontplatte mit dem dahinter liegenden Objektiv bewusst vollständig herausgezogen werden, um scharfe Aufnahmen zu erzielen. Dabei wird auch die Konstruktion sicher durch die Spreizenmechanik auf beiden Seiten gehalten.
Die Blendenöffnung kann über einen feinen Schieber unten auf dem massiven Messingschild in der Frontplatte eingestellt werden. Die Blendenwerte werden beim vorliegenden Exemplar nicht mit den üblichen Blendenwerten angegeben. An deren Stelle stehen lediglich die Zahlen 1 bis 4, die folgendermassen Blendenwerten zugeordnet werden können:
1 > Blende 11
2 > Blende 16
3 > Blende 22
4 > Blende 32

Messingschild mit Verschlusszeiten und Blendeneinstellungen auf der Frontseite der Vest Pocket Autographic Kodak Kamera

Die oben genannten Angaben wurden auch folgendermassen beschrieben. Stufe 1 wurde für Nahaufnahmen oder Portraits vorgeschlagen. Blendenstufe 2 sollte für mittlere Distanzen, Stufe 3 für Fernaufnahmen und Blendenöffnung 4 bei extrem hellen Lichtverhältnissen (Wolken/Meer) eingestellt werden. Dies alles muss natürlich auf die damalige Situation übertragen werden. Das Filmmaterial war damals deutlich weniger lichtempfindlich alsbei heutigen Filmen. So funktionierten diese Blendenwerte in Kombination mit den Verschlusszeiten von 1/25 oder 1/50 Sekunde wohl zufriedenstellend, um bei guten Lichtverhältnissen akzeptable Bildergebnisse zu erzielen.

Bei schwachem Licht waren eher lange Belichtungszeiten mit den Verschlusseinstellungen B und T nötig. Dabei erwies sich die ausklappbare Stütze unter der Frontplatte wohl als einzige Hilfe gegen verwackelte Aufnahmen, da sich so die Kamera auf einer soliden Auflage einigermassen stabil platzieren liess.

Die Grundlagen für die Belichtung werden in der Anleitung zur Kamera ausführlich beschrieben. Mit exakten Messungen war damals noch nichts. Wer die Kamera im Einsatz hatte, musst auf eigene Erfahrungen abstützen und im Gefühl haben, wann überhaupt lohnende Aufnahmen möglich waren. Eine Hilfe wird weiter unten im Absatz zur Autographic-Funktion dieser Kamera beschrieben.

Der Verschluss

Der Verschluss ermöglicht Belichtungszeiten von 1/25 und 1/50 Sekunde. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, mit den Einstellungen B und T Langzeitbelichtungen vorzunehmen. Bei der Einstellung B bleibt der Verschluss so lange geöffnet, wie der Auslöser gedrückt gehalten wird. Im Modus Z öffnet sich der Verschluss beim ersten Drücken und schliesst sich dann bei der zweiten Betätigung des Auslösers wieder. Die Qualität der so entstehenden Aufnahmen wird wohl keinen hohen Anforderungen standhalten, da ein Stativgewinde fehlt. Ein Kabelauslöser kann zwar unterhalb des Auslösers in das Gewinde einer kleinen Metalllasche geschraubt werden, doch ohne Stativeinsatz bringt das lediglich eine reduzierte Wirkung.

Verschlusszeiten einstellen bei der Vest Pocket Autographic Kodak – Detailaufnahme

Verwendung von 127er Rollfilm

Die Vest Pocket Kodak waren die ersten Kameras, welche 127er Film nutzten. Für die VPK Autographic wurde 1915 noch die spezielle Filmvariante A-127 entwickelt. Auf beide Filmtypen passen 8 Aufnahmen im Format 4 x 6.5 cm. Während andere Filmformate heute noch von mehreren Herstellern angeboten werden, ist die Wahl bei 127er Film extrem eingeschränkt. Der Rollfilm A-127, den Kodak speziell für seine Autographic Modelle konzipierte, war scheinbar nicht so erfolgreich, wie geplant, und wurde 1932 wieder eingestellt.

Klappe für Beschrifung von Film bei der Vest Pocket Autographic Kodak Kamera – Detailaufnahme mit dem Schriftzug

Etwas gewöhnungsbedürftig ist das Einlegen eines Films. Wie bei Rollfilmen üblich, sollte dabei eine schattige Stelle gewählt werden. Zuerst wird die Seitenplatte mit dem Schieber entriegelt und gleichmässig abgehoben. Die im Gehäuse befindliche Leerspule wird herausgenommen und er unbelichtete Film anschliessend mit der Lasche des Schutzpapiers in der Leerspule verankert. Der feste Halt sollte vor dem Einlegen des Films mit zwei bis drei Umdrehungen geprüft. Nun folgt der anspruchsvollste Teil. Zuerst wird nochmals kontrolliert, ob die Leerspule wirklich in jene Kammer gelangt, über welcher nach dem Aufsetzen des Deckels der Propeller für den Filmtransport zu liegen kommt. Endlich können jetzt die beiden Spulen in die Filmkammern abgesenkt werden. Die Seitenwand wird danach vorsichtig aufgesetzt und der Filmtransport-Propeller gedreht, bis er in der Aufnahmespule fasst. Sitzt alles perfekt, kann die Seitenwand wieder verriegelt und der Rollfilm auf die Startposition transportiert werden. Diese erkennt man durch das rote Fenster auf der Kamerarückwand.

Die Vest Pocket Autographic Kodak Kamera mit geöffneter Seitenwand. Die Kammern für die beiden Filmspulen sind sichtbar.

Analoge EXIF-Daten

Was bedeutet nun der Zusatz «Autographic» im Modellnamen? Hinter einer schmalen, über die gesamte Kamerabreite reichenden Klappe liegt ein Fenster, welches Zugang zum Backingpaper des Rollfilms gibt. Die Klappe hat eine automatische Feder, die das Papier beim Schreiben auf den Film drückt. Dadurch werden klare Abdrücke erzeugt. Bei Verwendung eines Films A-127 konnten Fotografinnen und Fotografen so mit dem mitgelieferten Stift aus Metall kurze Notizen aufs Papier kritzeln. Danach musste die Klappe noch weiter geöffnet bleiben, damit durch das Licht die Notiz auf den Film belichtet wurde. Bei strahlendem Licht dauerte dies etwa 2 bis 5 Sekunden, bei trüben Verhältnissen 5 bis 10 Sekunden. In der Anleitung zur Vest Pocket Autographic Kodak wird Anfängerinnen und Anfängern beispielsweise empfohlen, Angaben zur Lichtsituation, Verschlusszeit und gewählter Blendenöffnung in abgekürzter Form zu erfassen, um so Belichtungsfehler nach der Filmentwicklung bewusster beurteilen zu können. So wurden mit den Autographic-Modellen von Kodak schon damals analoge EXIF-Daten nach der Entwicklung auf dem Film am Rand des jeweiligen Negativs sichtbar.

Geöffnete Klappe mit Stift für die Autographic-Funktion der VPK Kamera

Fazit

Immer wenn ich mich mit alten Filmkameras beschäftige, staune ich, was es sogar bei einfachsten Modellen zu entdecken gibt. So hat mich auch die Vest Pocket Autographic Kodak schnell in ihren Bann gezogen. Die technischen Möglichkeiten sind bescheiden, jedoch solide umgesetzt. Durch das damals neue Filmformat der 127er Rollfilme konnte die Kamera erstaunlich stark geschrumpft werden. Sicher ein riesiger Fortschritt für alle, welche die Kamera gerne häufig dabei hatten. So lautete ein Werbe-Slogan von Kodak: «Vest Pocket Autographic Kodak: You don’t carry it; you wear it – like a watch.»

Vest Pocket Autographic Kodak Kamera wird in einer Hand gehalten. Damit ist ein Grössenvergelich möglich, der zeigt, wie klein die Kamera eigentlich ist.
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