Ein Blick in die Vergangenheit: Fotografieren mit der fast hundertjährigen Vest Pocket Autographic Kodak

Die Vorbereitungen

Schon fast 100 Jahre alt ist die im Jahr 1925 von Kodak hergestellte Vest Pocket Autographic, die ich heute in der Praxis testen möchte. Den historischen Hintergrund und die wesentlichen technischen Aspekte habe ich in meinem Blogbeitrag «Vest Pocket Autographic Kodak – die Soldatenkamera» ausführlich beschrieben. Die Kamera erschien mir simpel und äusserst robust konstruiert. Doch wie schlägt sie sich heute? Welche Ergebnisse kann man erwarten? Diese Fragen gilt es in der Praxis zu beantworten. Mit ihrem geringen Gewicht von nur 322 Gramm lädt sie förmlich dazu ein, sie auf einen Fotowalk mitzunehmen!

Fotograf mit der Vest Pocket Autographic Kodak in der Hand

Während meiner Vorbereitungen für diesen Blogbeitrag fiel mir auf, wie anspruchsvoll die Wahl des Bildausschnitts bei strahlendem Licht sein kann. Oft spiegelte sich der Himmel störend im Brillantsucher. Um diesem Problem entgegenzuwirken, habe ich eine einfache Lösung gefunden. Ich baute einen rechteckigen Schacht aus dünnem Fotokarton, den ich mithilfe von zwei kleinen Kerben an der ausgezogenen Frontplatte befestigen konnte. Die Innenflächen habe ich schwarz gefärbt, um Spiegelungen zu vermeiden. Diese simple Lösung erwies sich bei Tests als wirkungsvoll und begleitete mich daher auch auf meinem Fotowalk.

Der selbst gebaute Schachtsucher aus Fotokarton ist auf der Frontplatte aufgesteckt

Glücklicherweise sind 127er-Rollfilme auch heute noch erhältlich. Vor meinen Test der «Korelle 4 x 6 1/2» der Firma Kochmann habe ich mir drei Rollen «Rera Pan 400» besorgt, von denen zwei noch in meinem persönlichen Vorrat vorhanden sind. Also habe ich rasch den Film geladen und die Kamera einsatzbereit gemacht!

Das Einlegen des Rollfilms gestaltete sich einfacher als gedacht. Das Schutzpapier war spürbar dünner als bei den 120er-Filmen. Nachdem es in der Aufnahmespule sicher verankert war und ich den festen Sitz mit zwei bis drei Umdrehungen überprüft hatte, brachte ich die Film- und Aufnahmespule in die richtige Position zueinander. Dabei senkte ich zuerst vorsichtig die Filmspule in die entsprechende Kammer ab. Das leicht schräg verlaufende Schutzpapier und anschliessend die Aufnahmespule konnten nun problemlos in das Gehäuse eingesetzt werden. Weitere Details dazu findest du in meinem Beitrag «Vest Pocket Autographic Kodak – die Soldatenkamera» und in meinem YouTube Video.

Der 127er Rollfilm wird in die Vest Pocket Autographic Kodak eingelegt.

Los geht’s!

Leicht liegt diese knapp hundertjährige Kamera wirklich in der Hand. Und da sie nicht über ein Stativgewinde verfügt, kam ich nicht in Versuchung, ein Stativ mitzutragen. Die Lichtverhältnisse schienen mit gut. Gemäss der App «myLightMeter Pro» (siehe diesen Beitrag) konnte ich meist mit 1/50 Sekunde und den zur Verfügung stehenden Blendenöffnungen belichten. Doch schon bei der ersten Aufnahme musste ich feststellen, dass die Wahl des Bildausschnittes herausfordernd war. Der nur 13 x 13 mm grosse Brillantsucher dient lediglich als grobe Orientierung. Und so wählte ich dann Motive aus, bei denen der Ausschnitt etwas grosszügiger gewählt werden konnte. Mein aus Fotokarton gebastelter Schacht hielt lästige Spiegelungen des Himmels und der Umgebung ab – ein grosser Vorteil. Bei jeder Aufnahme war ich gespannt, ob die Bildausschnitte nach der Entwicklung wohl in etwa meiner ursprünglichen Wahl entsprechen würden.

Blick auf den kleinen Brillantsucher, der hinter der Frontplatte montiert ist.

Im Wechselbad der Gefühle

Nach einer knappen Stunde waren die acht Aufnahmen im Kasten. Also schnell nach Hause und den Film entwickeln. Den ReraPan 400 entwickelte ich in Rodinal bei einer Verdünnung von  1+50 während 21 Minuten. Doch das Ergebnis war frustrierend! Der Negativstreifen war vollkommen durchsichtig. Kein Licht auf dem Film, oder etwa ein Fehler beim Entwickeln? Sofort prüfte ich nochmals den Verschluss und die Blendenlamellen. Da schien es keine Probleme zu geben. War vielleicht der Entwickler nichts mehr? Aber der war ja auch noch nicht älter als eineinhalb Jahre, was bei Rodinal kein Problem sein sollte. Ich hab das Rätsel bis heute noch nicht gelöst.

Was sollte ich nun machen? Mir fehlte etwas die Motivation, nochmals einen Versuch zu starten. Trotzdem liess mir die offene Frage nach dem möglichen Fehler keine Ruhe. Und so entschloss ich mich am nächsten Tag, nochmals einen Versuch zu wagen. Eine Rolle ReraPan 400 lagerte ja immer noch in meinem Filmvorrat. Ich wählte nochmals die gleiche Route und ähnliche Motive. Nach der Rückkehr entschloss ich mich, den hoffentlich korrekt belichteten Film diesmal in HC-110 (1+31) während 6 Minuten zu entwickeln. Immer noch waren da Zweifel, ob brauchbare Ergebnisse erzielt wurden. Erst der Blick in die geöffnete Entwicklungsdose liess mich aufatmen. Da waren deutlich Bilder zu erkennen! Die stelle ich nun gerne ab Schluss des Beitrags vor. Das Hantieren mit meinem Schachtsucher aus Fotokarton hat Spuren hinterlassen. So schlich sich bei der letzten Aufnahme einer meiner Finger ins Bild.

Ein Ausschnitt aus dem entwickelten Negativstreifen.

Fazit

Wie schon in meinem früheren Beitrag  «Vest Pocket Autographic Kodak – die Soldatenkamera» beschrieben, hat diese Kamera einen gewissen Charme. Sie ist klein und robust gebaut. Für den häufigen Einsatz kommt sie nach den gemachten Erfahrungen weniger in Frage. Trotzdem habe ich mich in diese Kamera verliebt. Die Bilder haben einen ganz eigenen Charakter. Nur schon dies motiviert, der Kamera zwischendurch mal die Möglichkeit zu geben, den Fotografen oder die Fotografin in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zu entführen.

8 Aufnahmen mit der Vest Pocket Autographic Kodak

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